Es gibt Dinge, welche im Moment schön sind oder nach einer guten Idee klingen, man aber zu einem späteren Zeitpunkt, also vielleicht am nächsten Morgen, bereut. Jeder denkt sich jetzt vermutlich „Ach, die Jungen. Haben wieder zu tief ins Glas geschaut.“.
Nein! Ich habe genau richtig ins Glas geschaut, aber doch viel zu tief ins Teller. Ich denke das Dessert gestern Abend hatte dann doch etwa 1000 Kalorien zu viel. Nach dem Food-Koma entschloss ich sogleich den Vorsatz, jeden Morgen hier in der Mash Tun mit einem „Lachs-Ei-Tatar“ zu starten, zu verwerfen. Seien wir ehrlich, ein leichter Fruchtsalat und eine Scheibe Toast geben genug Energie für einen ganzen Tag….
Nachdem wir uns „gestärkt“ hatten, nutzten wir das gute Wetter (=es hat nicht geregnet) um das Auchindoun Castle zu erkunden.
Das Castle wurde irgendwann um 1450 errichtet und ist daher heute nur noch eine Ruine.
Einer der Gründe, wieso ich Schottland so liebe, ist die Abgeschiedenheit, ohne jedoch wirklich abgeschieden zu sein. Dies war auch bei diesem Castle zu spüren. Gerade eben war man noch in Dufftown, einem kleinen Städtchen mit doch etwas Verkehr und dem einen oder anderen Touristen auf der Strasse. Danach biegt man in eine kleine Strasse ab (in der Schweiz wäre das nicht einmal eine Nebenstrasse, und hier gilt auf dieser Strasse Tempo 60 (etwa 100km/h) fährt etwa 1km und schon ist man alleine. Es kommen fast keine Autos mehr entgegen, weit und breit sind keine Touristen zu sehen und Einheimische sieht man erst recht nicht.
Das man alleine ist stimmt zwar nicht ganz. Fast egal wo man hinschaut, man sieht Schafe. Und ich bin überzeugt das jedes einzelne Schaf einen Touristen erkennt und ihn dementsprechend verurteilt:
Eigentlich hätte es einen „Parkplatz“ gegeben, damit man das Auto etwas näher zum Castle parkieren könnte. Aber wenn schon die Strasse, welche uns zum Ausgangspunkt führte, in der Schweiz maximal als Nebenstrasse durchgegangen wäre, könnt Ihr euch den verkümmerten Trampelpfad zum „Parkplatz“ wohl vorstellen.
Selbstverständlich wären wir mit unserem BMW diese „Strasse“ hochgekommen, aber schlussendlich war mir ein intakter Spoiler und eine noch korrekt montierte Auspuffanlage wichtiger. So haben wir den Wagen an die Strassenseite gestellt und sind los gelaufen. Nach etwa 15 Minuten gemütlichem Wandern und unter ständiger Beobachtung von Schafen haben wir dann die Ruine erreicht.
Nachdem man die Ruhe und Einsamkeit genügend ausgekostet hat, gings wieder den Berg ab und zurück Richtung Dufftown und Aberlour. Beim Frühstück hat uns die Besitzerin der Mash Tun noch auf die Speyside Cooperage aufmerksam gemacht. Dort werden jährlich zwischen 80’000 und 120’000 Fässer für die Whiskyindustrie repariert und aufbereitet. Und da das Fass einen extrem grossen Anteil am Geschmack eines Whisky hat, ist das auch fast ein „Must-Visit“ für uns.
Wir sind gerade noch pünktlich für die 11:00 Uhr Tour gekommen und konnten uns direkt einer kleinen Gruppe anschliessen.
Eigentlich hatte ich den Eindruck, das die Fass-Herstellung bzw. Restaurierung doch etwa sehr spezielles ist und seine Zeit braucht. In der Speyside Cooperage sieht das ganze aber mehr nach Akkord-Arbeit aus. Es ist definitiv immer noch ein schwerer Beruf, bei dem man zweifelsohne bei der Sache sein muss.
Auf dem Foto sieht man die einzelnen Arbeitsplätze und während wir dort waren konnte man beobachten wie die einzelnen Arbeiter ein Fass holen, den Boden rausnehmen, defekte Dauben ersetzen, das ganze wieder zusammensetzen und dann in die Qualitätsprüfung weitergeben. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen dies länger als einen Tag zu machen. Besonders speziell fand ich die Tatsache, dass die Arbeiter pro Fass und Tag bezahlt werden. Wer also schnell arbeitet verdient unter dem Strich mehr.
Alles in allem war es jedoch sehr spannend, einmal einen Blick auf diese Seite der Industrie zu werfen, auch wenn ich mir das ganze irgendwie „romantischer“ Vorgestellt habe. Aber schlussendlich hat es in einer solchen Milliarden-Branche nicht mehr viel Platz für Bilderbuch-Fassbauen, am Ende muss der Ertrag stimmen.
Am Nachmittag stand, wie könnte es anders sein, eine weitere Distillery auf dem Programm. Da die Distillery doch etwas abgelegen ist, haben wir uns, vorbildlich wie wir sind, für eine Anreise per ÖV entschieden. Als verwöhnte Schweizer (was ÖV betrifft) überkommt einem hier doch ein wenig das Hosenflattern. Was wenn der Bus nicht kommt? Was wenn der Bus vor der Zeit abfährt? Ich denke alle haben schon solche „Gruselgeschichten“ gehört, doch wir wurden hier schnell eines besseren belehrt. Gemäss Fahrplan sollte der Bus 12:46 Uhr ankommen, und genau das tat er auch. Soweit so gut. Mittlerweile regnete es auch wieder in Strömen, sodass die Strassen regelrecht zu einem Kanal wurden, dies schien den Busfahrer aber nicht wirklich zu interessieren. Wir flogen regelrecht über die Strasse, Links und Rechts von einer Welle, des auf der Strasse gesammelten Wassers, begleitet. Ich denke ich bin noch nie so schnell in einem Linienbus gefahren aber ich muss auch zugeben, dass ich mich selten so sicher gefühlt habe. Obwohl der Busfahrer das 60mph / 100kmh Limit ziemlich ausgereizt hat, schien er stets Herr des Schiffes gewesen zu sein.
Nach 20 Minuten „auf See“ kamen wir dann bei der BenRiach Distillery an. Im Gegensatz zu den bisherigen Distillerien war diese die am wenigsten Touristische. Dies erkannte man schon daran, dass es kein Besucherzentrum oder ähnliches gab.
Als wir dann auf den Beginn der Tour warteten, kam ich mit einem älteren Amerikaner aus Colorado ins Gespräch welcher offenbar vor einigen Jahren einmal in Interlaken, bzw. Balmers Herberge zu Gast war. Manchmal ist die Welt schon klein 😉
Die Tour anschliessend war dann, wie erwartet sehr authentisch und „unorganisiert“. Wobei das unorganisierte extrem positiv war und dem ganzen einen besonderen Charm verlieh. Man merkte, dass es hier um die Produktion von Whisky geht und nicht darum, Leute herumzuführen.
Trotz allem hatte aber unser Guide ein extrem grosses Know-How und eben gerade weil es nicht „professionell“ war, wurden auch andere bzw. viele neue Dinge und Facts erzählt.
Nebst den klassischen Punkten bei einer Führung durch eine Distillery war hier das besondere Highlight das Warehouse. Also dort wo die abgefüllten Fässer für die nächsten paar Jahre oder sogar Jahrzehnte lagern.
Wir haben ein sogenanntes Dunnage Warehouse besucht. Also die ältere und traditionellere Version eines Lagerhauses. Der Boden besteht meist einfach aus gestampfter Erde und die Mauern bestehen aus dickem Stein. Dadurch ist die Temperatur in den Warehouses über das ganze Jahr relativ konstant, was schlussendlich der Reifung zugute kommt.
Heute aber wurde das alles vom Duft in dem Warehouse übertroffen. Es war ein Mix aus Whisky, verschiedenen Weinarten, Sherry, Portwein und auch eine gute Portion Holz. Ich hätte vermutlich noch eine Weile einfach durch die Gänge laufen können, tief einatmen und dazu die ganz verschiedenen Fässertypen studieren.
Das älteste Fass in diesem Warehouse war übrigens eines aus dem Jahre 1971.
Es ist fast ein wenig Absurd wenn man bedenkt was die Menschheit alles erlebt hat währenddem der Whisky einfach in seinem Fass vor sich hingereift ist. Es ist aber ebenso absurd nur daran zu denken wie teuer dieser Whisky irgendwann sein wird.
Zum Abschluss der Tour erlebten wir noch das wahrscheinlich beste Tasting bist jetzt. Es wurden 6 Whiskies angeboten und jeder hat mir auf seine ganz eigene Art und Weise gefallen.
Nachdem wir uns verabschiedet haben, und zum Glück vom Bus wieder mitgenommen wurden (Für den Rückweg hat es keine wirkliche Bushaltestelle sondern man muss einfach an den Strassenrand stehen, winken sobald der Bus kommt und hoffen das der Fahrer hält) neigte sich der Tag auch schon wieder dem Ende zu.
Für den letzten Abend hier in Aberlour haben wir uns noch einmal für ein Abendessen in unserem Hotel entschieden, heute aber mit dem strikten Ziel, ein Food-Koma zu verhindern. Bei diesem Ziel hat dann auch die Bedienung tatkräftig mitgeholfen, indem sie uns regelmässig und gekonnt ignoriert hat.
Aber so einfach lassen wir uns die Laune nicht trüben. Alles in allem war der Aufenthalt hier in Aberlour superb. Die Lage ist exzellent für Tagesausflüge und das etwas verschlafene Dorf hat alles was es zum gemütlichen verharren und Zeit geniessen braucht. Ich bin mir sicher, dass dies nicht der letzte Aufenthalt hier ist und auch die Mash Tun kann ich jedem Empfehlen, in der Hoffnung das man nicht ignoriert wird 😉
Morgen geht es dann zurück auf die Strasse und zwar in Richtung Süden mit Ziel Pitlochry und Edradour Distillery. Bis dann!